Für eine Case Study im Rahmen des Scale-Up 360° HR Tech Events hat sich Growify mit dem TÜV NORD zusammengeschlossen. Digitalization & Innovation Director Dr. Dietmar C. Schlößer vom TÜV NORD und Growify CEO Leonard Zenouzi diskutieren in ihrem Vortrag, wie man neue Jobprofil-Skill-Architekturen erstellt und wie man diese Fähigkeiten in einem anforderungsbasierten Lernansatz implementiert.
Upskilling in a phygital age – was genau bedeutet das?
Dietmar: Phygital ist ein Begriff aus dem Marketing und beschreibt die Überbrückung der Online- und Offline-Gap, also die Verknüpfung von physischer und digitaler Welt. Im weiteren Sinne beschreibt phygital die Verschmelzung der physischen und digitalen Welt, was angesichts der immer weiter beschleunigenden Digitalisierung eine große Herausforderung darstellt. Ereignisse in der digitalen Welt können direkte, teilweise tödliche Auswirkungen in der physischen Welt haben und auch umgekehrt. Es geht nicht mehr um nur um funktionale Sicherheit von Produkten wie Aufzügen und Autos, sondern wir haben es immer mehr mit vernetzten, intelligenten Systemen zu tun. Daher müssen wir uns weiterentwickeln, denn wir benötigen unterschiedliche Skillsets und Kompetenzen, um mit dieser Herausforderung umzugehen. So kommen Personalentwicklung und phygital in diesem Kontext zusammen.
Wie kam die Zusammenarbeit von Growify und TÜV NORD zustande?
Dietmar: Unsere Erkenntnis war: Es gibt keine Lösung von der Stange, die uns bei der notwendigen Transformation helfen wird. Deshalb waren wir auf der Suche nach jemandem, der bereit ist, mit uns gemeinsam zu experimentieren und uns, basierend auf Expertise, durch den Prozess zu führen. Was gerade ein junges Unternehmen wie Growify dabei zu bieten hat, sind Agilität und die Bereitschaft zu experimentieren, um neue Dinge herauszufinden und sie gleichzeitig schnell anzugehen.
Leonard: Tatsächlich haben wir vor kurzem mit dem TÜV NORD und zwei anderen deutschen Unternehmen ein Co-Creation-Programm gestartet, bei dem wir uns über diese Problematik ausgetauscht haben. Wir starteten das Programm mit drei Zielen: Das erste war es Profil-Skill-Architekturen aufzubauen. Wir wollten in das Verständnis eindringen, welche Fähigkeiten wirklich mit einem bestimmten Profil verbunden sind. Das zweite Ziel war es, diese Profil-Skill-Architekturen so zu strukturieren, dass sie dem Unternehmen tatsächlich dabei helfen diese Kompetenzen zu entwickeln.
Wir fragen uns: Wie lernen die Leute wirklich? Die Psychologie des Lernens zeigt uns, dass die meisten Menschen eher aus praktischen als aus theoretischen Erfahrungen lernen.
Growify verbindet beides unter dem Begriff Anforderungen. Unser drittes Ziel war es, einen Skill-Mapping-Prozess für jede:n Mitarbeiter:in durchführen zu können. Wir möchten herausfinden, wie wir erkennen, welche aktuellen Fähigkeiten im Unternehmen vorhanden sind und welche in Zukunft gebraucht werden.
Wie sah der Prozess dieser Co-Creation aus?
Leonard: Im Grunde genommen ging es darum, sich in einem Workshop-Format mit allen Teilnehmer:innen abzugleichen und im Anschluss in praktischen Pilotprojekten in die Umsetzung zu gehen, wie strategisches Upskilling funktionieren kann. Insbesondere die Praxisprojekte haben uns geholfen zu verstehen, wie komplex Job-Architectures sind, aber auch wie leicht man diese sukzessiv umsetzen kann.
Dietmar: Auf TÜV NORD-Seite versuchten wir zunächst zu verstehen, wo die anderen Co-Creation-Partner:innen standen und stellten fest, dass wir eine ganz eigene Herangehensweise hatten, weil unsere Idee sich ein wenig von einer normalen Unternehmensstruktur unterscheidet. Vor ein paar Jahren hat der TÜV NORD ein Programm zur Befähigung der Mitarbeitenden namens "Digital Academy" gestartet, um die digitale Transformation von innen heraus voranzutreiben. Mitarbeitende aus verschiedenen Geschäftseinheiten kommen für 6-9 Wochen zu uns, um ein Digital Expert-Ausbildungsprogramm zu absolvieren. Die Hälfte der Zeit verbringen sie mit Lernmodulen zu verschiedenen methodischen Themenblöcken. Die andere Hälfte besteht aus Projektarbeit an einem Leuchtturmprojekt, bei dem die Teilnehmenden das Gelernte sofort anwenden können. Den Abschluss bildet ein Pitch-Event mit der Konzernleitung zur Vorstellung der Ergebnisse und weiterem Umsetzungsplan. Anschließend kehren die Digital Experts in ihre Geschäftseinheiten zurück. Das Ziel ist, dass sie dort sinnvolle Veränderungen vorantreiben und die Skills, die sie erworben haben, gezielt zur Steigerung der Geschäftsergebnisse einsetzen.
Die Fragen, die sich daraus ergaben: Was machen die Digital Experts in den Geschäftseinheiten? Was macht die Mitarbeitenden in ihren Geschäftsbereichen erfolgreich? Welche Skills benötigen sie? Wie können wir das effizient replizieren und skalieren? Wir fragten erfahrene Digital Experts, was sie normalerweise tun und was dafür erforderlich ist und leiteten daraus die benötigten Fähigkeiten ab. Das war eine interessante, aber auch intensive und sogar stressige Aufgabe für die beteiligten Personen.
Nelli (beteiligte Growify-Beraterin) stellte genau die richtigen Fragen, um einen ganzen Skill-Tree für jede Person abzuleiten.
Die Digital Experts realisierten, wie viele ihrer Aufgaben sie ausführten, ohne darüber zu reflektieren und nachzudenken, die aber entscheidend für ihre Tätigkeit sind. Wir waren überwältigt von den gewonnenen Erkenntnissen. Es war eine Menge Arbeit, aber auch eine Menge Spaß. Besonders für die Expert:innen selbst war es sehr aufschlussreich, darüber nachzudenken, was sie tun und was sie erfolgreich macht. Insgesamt also eine sehr interessante Erfahrung.
Leonard: Wir haben den ganzen Prozess mit einer Mindmap begonnen, um das Ergebnis der Interviews zu zeigen. So bekommt man ein Gefühl dafür, wie komplex die Kombination aus Profilen, Fähigkeiten und Anforderungen ist. Da wir das nicht manuell machen wollten, haben wir einen Editor entwickelt, um den gesamten Prozess in unsere eigene Softwarelösung zu überführen. Innerhalb von Growify können erstellte Elemente wiederverwendet werden. Skills und Anforderungen können so für mehrere Benutzer:innen und Profile verwendet werden. Was wir gemacht haben, war eine Datenbank mit Fähigkeiten, Anforderungen und Profilen für diese Digital Experts zu erstellen.
Was habt ihr aus dem Prozess gelernt?
Dietmar: Es war wirklich mehr Aufwand, als wir dachten. Der ganze Prozess braucht Zeit, aber er ist es wert. Wichtig ist, sich zuerst auf die Skills zu konzentrieren und die Anforderungen später im Editor hinzuzufügen. Es war ein interaktiver Prozess, um ans Ziel zu gelangen. Wir fanden eine Grundlage, um das Ergebnis skalieren zu können und auf zukünftige Digitalexpert:innen zu übertragen, um sie schneller ans Ziel zu bringen. Ich dachte, ich wüsste, was die Digital Experts in der Praxis machen, aber das tat ich nicht. Auf einer persönlichen Ebene war das die wichtigste Erkenntnis. Und eine solche Erkenntnis ist notwendig, um besser zu werden.
Leonard: Genau, es ist wichtig zu verstehen, welche Fähigkeiten in einem Unternehmen tatsächlich vorhanden sind. Es geht nicht darum, die Fähigkeiten zu definieren, sondern die Leute zu fragen, was sie tun und wie sie es tun. Das ist am Anfang ein schmerzhafter Prozess, aber die Mühe lohnt sich. Mein Eindruck ist, dass viele HR-Abteilungen diesen Prozess häufig top-down gestalten wollen. Das halte ich allerdings für einen Irrweg.
Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Dietmar: Der nächste Schritt wird das Onboarding erster Lernender sein. Da sich die meisten Unternehmen in einer Art Transformation befinden, sollte der Einfluss bei denjenigen liegen, die die Veränderung vorantreiben müssen. Das Onboarding wollen wir dezentralisieren und von operativen Einheiten definieren lassen. Sie sollen bestimmen, was sie brauchen, um eine bestimmte Veränderung zu bewältigen. Diese Veränderung ist in unserem Fall, neben der phygitalen Transformation, auch die Altersstruktur. Wir werden angesichts des demografischen Wandels viele Mitarbeitenden haben, die in den Ruhestand gehen. Das gibt uns die Chance Mitarbeitende mit anderen, neuen Fähigkeiten einzustellen. Dafür benötigen wir einen Plan. Was braucht es, damit neue Kolleg:innen erfolgreich sind und wie müssen wir das angehen? Meine Hypothese: Bestehende Erfahrungen müssen teilweise über Bord geworfen werden. Wir müssen wissen, wohin wir in den nächsten Jahren gehen wollen und was wir brauchen, um zukunftsorientierte Wege für die Mitarbeitenden bauen zu können. Mit den Erkenntnissen aus unserer Fallstudie erhalten wir interessante Impulse, wie wir das erreichen können.
Leonard: Ich hatte das Vergnügen viel von Dietmar und TÜV NORD zu lernen.
Aus dem Co-Creation-Programm und der Zusammenarbeit mit TÜV NORD ergab sich die Erkenntnis, dass viele Unternehmen eine Vielzahl an Inhalten und spezifischen Initiativen vorbereiten, um Mitarbeiter:innen zu entwickeln. Diese sind jedoch nicht immer strategisch auf die zukünftig tatsächlich relevanten Fähigkeiten ausgerichtet. Sie setzen die Initiativen noch nicht in umfassende und passende neue Strukturen um. An dieser Stelle setzt Growify an und unterstützt Unternehmen dabei, einen strategischen Upskilling-Plan zu entwickeln und die Unternehmenstransformation zu unterstützen.